Ulrich Haas-Pursiainen Zur Authentizität der Bilder und der Identität in entwickelten Informationsgesellschaften. Einige Thesen ueber Dokumente und Identität: Ueber Jahrhunderte hinweg wurde der Realität imaginierende Charakter der Bilder in der westlichen Welt als ihre wesentliche Eigenschaft herausgearbeitet. Das (damals gemalte) Bild war authentisch in dem Sinne, dass es auf eine reale oder als real gedachte Wirklichkeit seiner selbst verwies. Sogar die sakrale Malerei verwies auf die geglaubte Realität der biblischen Geschichten, lediglich die orthodoxe Ikonografie (der Ostkirche) transzendierte bewusst alle belegenden Eigenschaften des Bildes. Nun ging die Entwicklung dieser neuzeitlichen West-Bildidee (spätestens) seit dem 14. Jahrhundert einher mit der Etablierung eines Selbstbildes, dass im wesentlichen auf die individuelle Identität des schauenden Subjektes ausgerichtet war. Die Position des Schauenden, die zentrale Perspektive, wird Grundlage aller folgenden westlichen Weltinterpretation. Die rote Linie vom ”Auge Gottes” ueber den Spiegelsaal des Absolutismus in Versailles bis hin zum Auge des Fotografen markiert nicht nur die Geschichte des (seit Perseus) unterwerfenden Blickes, sondern auch eine Geschichte des sich selbst erzeugenden Subjektes, das gleichzeitig gezwungen war, seine Ketzer zu verbrennen und eine Wissenschaft zu etablieren, deren Inhalt und Aufgabe im wesentlichen die Stuetzung der Eigenen Dogmen war. Spätestens die Industrialisierung des 19. Jahrhunderts brachte die buergerliche Subjekt-These in Verdacht und entwickelte mit der Psychoanalyse eine erste Methode zur Heilung des schon angeschlagenen Buerger-Bildes. Das fotografische Bild sicherte, nicht zuletzt wegen seines Wahrheitsanspruchs und Beweis-charakters, der aufstrebenden buergerlichen Herrschaft die Macht durch die massenweise Definition und Verbreitung seiner Welt-Anschauung und Welt-Unterwerfung. In dieser gesellschaftlichen Krise entstanden die ersten West-Bilder, deren Kuenstler Inspirationen aus a-perspektiver Malerei des fernöstlichen Teiles der Welt verarbeiteten. Ausserhalb des dualistischen Denksystems hatten sich Gesellschaften entwickelt, denen `Das Ganze` von wesentlich höherer Bedeutung war als alles Einzelne, ja, denen das Ego als hinderlich, bedeutungslos oder letztendlich nicht existent vorkam. In der heutigen Zeit erleben wir eine ungeheuere, zunehmend beschleunigende interglobale Kommunikation, die alle Bereiche unserer Lebenswelt (oft unbewusst) umfasst. Sind in den Strudel der marktorientierten, industriellen Verwertung nicht nur unsere Körper geraten (der Arbeiter, dessen Muskelapparat als austauschbarer Teil der unvollkommenen Maschine instrumentalisiert wurde, konnte um die Jahrhundertwende seine Identität schon nicht mehr als Individuum entwickeln, sondern nur in der Klassenstruktur einer gespaltenen Gesellschaft erleben.), sondern zunehmend auch dessen mentale Organisation? (F.Nietzsches Umkehrung der Werte oder V.Flussers Leinwände des Realen) Verblasst der ”Geschichtsfaktor” der Identitätsbildung, Geburt, Familie, Sprache etc., gegenueber dem ”Medienfaktor”, der seine Zugehörigkeit zum industriellen Komplex der Verwertung immer weniger zu verschleiern braucht, weil wir immer mehr zum aktiven Teil des Spieles mutieren ? Welche Veränderungen in der Struktur neuer Identitätsbildung können sich daraus ergeben? (Auch die Analyse von Forschungsprojekten mit dem Zweck der Rekonstruktion des genetischen Codes und dessen detailierter Manipulation könnten Aspekte zur Diskussion beitragen.) Andererseits erlebt auch das fotografische Bild(dokument) sowohl in seinem Entstehen als auch in seiner Vermarktung eine radikale, bestenfall mit den Kollagetechniken der 20iger Jahre vergleichbaren, Veränderung. Worin aber besteht die `Agitation` der computermutierten Bilder des 21.Jahrhunderts? Lassen sich ideologische, kommerzielle und aufklärerische Aspekte in den Medien ueberhaupt noch unterscheiden? Welche Wahrheit transportiert eine (beliebige) Nachricht? Lacht noch jemand über des Kaisers neue Kleider? Die Grenzen des Dokumentes sind hoffnungslos verschwommen, die subtilen Möglichkeiten seiner Manipulation unermesslich. Die Grenzen der Identität sind hoffnungslos verschwommen, die subtilen Möglichkeiten seiner Manipulation unermesslich. Lediglich die Dekonstruktion unhaltbar gewordener Mythen ??